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Tipps und Tricks zum Entziffern alter Schriften

Buchstabieren

Wir sind es gewohnt, beim Lesen die Worte nicht zu buchstabieren wie ein Schulanfänger, sondern wir erkennen ein Wort am Aussehen und wissen sofort, was da steht. Nur wenn wir das Wortbild nicht erkennen oder nicht verstehen, beginnen wir, die Buchstaben näher zu betrachten. Diese Gewohnheit bringt es mit sich, daß wir gelegentlich ein Wort in einer alten Schrift falsch lesen, weil wir glauben, das Wortbild zu erkennen. Darum lautet die erste Regel :
viele Worte in alten Schriften müssen Buchstabe für Buchstabe entziffert werden.

Normalerweise muß man sich in jede Handschrift "hineinlesen". Darum ist es beim Entziffern alter Schriften stets nützlich, möglichst viel Text zu haben.
Ich bekomme oft nur einen winzigen Ausschnitt mit der Bitte, das vorzulesen. Ohne Vergeichsmöglichkeiten in der gleichen Handschrift ist das manchmal nicht möglich !
Man suche im Text nach vertrauten Wörtern, die man sicher lesen kann. Wie schreibt er ein "e", wie ein "n", wie ein "r" ? Wie ein "sch" ?
Macht er über das "u" einen Bogen ? Kann man sein "h" vom "s" unterscheiden ? Kann man sein "s" vom "f" unterscheiden ?
Es gab durchaus Schreiber, bei denen das "h" und "s" identisch aussah oder bei denen das "c" in "sch" unterschlagen wurde.
(des) "Abschieders" (Altenteilers), "Tischler"   "Lübsch" (= lübeckisch)

Trennen Sie die Schreiblinien voneinander ! Oftmals ist ein Wort so schwer lesbar, weil die Kringel und Bögen der Ober- und Unterlängen bis in die nächste oder sogar übernächste Schreiblinie hineingehen. Überlegen Sie also, ob der Strich der Sie stört, nicht zu dem "s" gehört auf der Schreiblinie darüber, und ähnliches.
"HaußEhre" steht in der Mitte dieses Liniengewirrs (siehe weiter unten !).

Rechtschreibung

Daß wir ein Wort nicht lesen können, liegt oft an einer ungewohnten Rechtschreibung. Vergessen Sie Ihre Kenntnisse zum Thema Rechtschreibung !
Ein Bäcker war früher ein "Becker" und ein Schmied war ein "Schmidt". Demnach war ein "Hufschmied" ein "Huffeschmidt".
Ein Bauernvogt konnte auch "Baurvoigt" geschrieben werden. Ich weiß noch, daß ich mit "Baurvoigtin" mal größte Schwierigkeiten hatte. Gab es denn sowas überhaupt ? Ja, denn sie war die Witwe des Bauernvogtes.
Gelegentlich zweifeln wir an unserer Lesung, weil wir einen unbekannten Beruf gefunden haben : Zuckerbecker, Cattundrucker (Cattun = Baumwolle), Wandmacher (Wand = Stoff, man denke an Leinwand), Schendarm (Gendarm), Brenner (nicht Bremer !), Reuter (Reiter) usw.
Ebenso gab es ungewohnte Bezeichnungen für den Besitzstand : Hueffner = Hüffener = Hufner, Köthener = Käthner = Viertelhufner, Büdner = Bödener = Achtelhufner, Brincksitzer (hatten Haus ohne Land) und die Häuerleute = Miethsleute = Insten (hatten weder Haus noch Land).
Daneben gab es "Haußwirthe" (Hausbesitzer) und "Setzwirthe" (vorübergehend eingesetzte Besitzer).
Verwaltet wurden sie nicht vom "Amt", sondern vom "Ambt" oder "Ampt".

In Norddeutschland muß man auch mit plattdeutschen Wörtern rechnen : Bruer statt Brauer.
Eine Reihe von Nachnamen waren zuerst plattdeutsch, später hochdeutsch : Steenfatt = Steinfaß, Barckholt = Birckholz usw.
Vornamen wurden oft in der Kurzform verwendet : Chel statt Michael, Tietke statt Matthias, Trin oder Trincke statt Catharina, Make statt Marquart, Marx statt Marcus, Radke statt Conrad, Sille statt Cecilie (siehe Liste der Vornamen).
Oder sie werden ungewohnt geschrieben : Hanß statt Hans, Clawes und Clauß statt Claus usw.
Auch Ortsnamen wurden nach Gehör und oft ungewohnt geschrieben : "Hessenkassel" statt "Hessen-Kassel".


Rechnen Sie damit, daß statt "ö" oder "ü" nur "o" oder "u" geschrieben wurde, oder statt "ck" nur "k".
Ein "ß" sieht oft wie "hs" aus, das ist dann ein lang - s (ähnlich wie "h") mit einem rund-s dahinter.
Rechnen Sie damit, daß statt des zu erwartenden "K" ein "C" verwendet wurde und statt des zu erwartenden "Z" auch ein "C".
In alten Texten (17. Jahrh.) findet man oft ein "w" statt "u", das aber wie "u" ausgesprochen wird : Frauw, Trittow.
Ebenso hat man statt u" ein "v" geschrieben. Beispiel : "vnnd" heißt "und".


Kleinbuchstaben

Wenn wir einen oder mehrere Kleinbuchstaben nicht lesen können, müssen wir zuerst auf Oberlängen und Unterlängen achten.
Oberlängen haben die Buchstaben b, d, f, k, l, t (das "t" erst ab 17. Jahrh.).
Ober- und Unterlängen haben die Buchstaben f, h, s, ß.
Unterlängen haben die Buchstaben g, j, p, q, x, y, z.

Wenn wir eine Gruppe Buchstaben ohne Ober- und Unterlängen haben, sind es meistens Kombinationen aus "e", "r", "n" und "m" (Beispiel : "nennen"), dann müssen wir die "Beinchen" der Buchstaben zählen. Ein "e" sollte 2 eng aneinanderstehende Beinchen haben, aber oft sind diese so eng, daß es aussieht wie ein (dickeres) Beinchen.
Ein "nn" kann auch geschrieben sein als "n" mit einem Strich darüber, ebenso ein "mm" nur als "m" mit einem Strich darüber.

Ein "u" sieht meistens aus wie ein "n", zur Unterscheidung sollte beim "u" ein Bogen darüber sein. Dieser Bogen ist manchmal recht abenteuerlich, er kann am "u" dranhängen oder kann ein Kringel sein oder etwas, das aussieht wie ein Fragezeichen.
ACHTUNG : manche Schreiber machen KEINEN u- Bogen, darum muß man sich stets vergewissern, wie in dieser Handschrift ein "u" aussieht, mit Bogen oder ohne.
"zu"   "zum"     "kaufte"   "Jungfer" mit u-Bogen !

  "(ein) Bauer aus"     "aus"
Das Wort "Bauer" ist schwer zu lesen, weil der Schreiber den u-Bogen bereits auf der Grundlinie beginnt und im Wort deswegen eine Lücke ist.

Ein "c" und ein "i" wird leicht verwechselt. Das kommt daher, daß früher am "c" oben rechts noch ein kleiner Bogen war. Dieser ist manchmal nur als Strich oder als Punkt (!) angedeutet. Der Name "geb. Friccius" ist dafür ein gutes Beispiel. Ebenso in "Ludowica" und "Michel" zu lesen.
Siehe auch unter "Großbuchstaben".
   

Schwer zu lesen sind auch Buchstaben mit einer eigenwilligen Linienführung. Beispiele : "so", "also", "soll", "gf" in Jungfer", "sp" in Kirchspiel.
   

Sie sagen nun vielleicht, daß diese Beispiele leicht zu lesen wären. Stimmt, aber ich will Sie mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Linienführung nicht immer so sein muß, wie wir es gewohnt sind. Wenn Sie etwas nicht lesen können, schreiben Sie mal das Wort mit dem Finger in die Luft. Manchmal hat der Schreiber einfach "den Schwung ausgenutzt", manchmal wollte er Platz sparen.


Großbuchstaben

Probleme machen zusammengesetzte Wörter, die in der Mitte einen Großbuchstaben haben : HaußEhre (= Gemahlin), UnEhre, HoffMeister.
 
"in UnEhren erzeugt"

Bei Großbuchstaben hat man fast immer Probleme mit dem "G". Es gilt der Grundsatz : ist ein Großbuchstabe überhaupt nicht zu erkennen, dann ist es mit größter Sicherheit ein "G" ! Siehe dazu die 6 Reihen mit "G" auf Kanzlei2.htm.
"Goldschmied"

An einem "C" ist oft ein Bogen, manchmal sogar abgetrennt vom eigentlichen Buchstaben : "Cig. Arb" = Cigarren - Arbeiter, "Catharina".
Dieser Bogen kommt auch als senkrechter Strich vor : "Carl".
   

Verwechseln Sie nicht "L" und "B". Ein "B" hat immer "einen Knoten vor dem Bauch", der beim "L" fehlt. In einer Chronik war von einer Familie "Lohlen" in Reinbek die Rede. Das war natürlich der wohlbekannte Familienname "Bohlen".
"Luise"   "Braunschweig"

Haben Sie weitere Vorschläge hierzu ? Bitte senden Sie mir diese möglichst mit einem Beleg dazu per email. Vielen Dank !


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